Entwicklung des Berufswahlunterrichts bzw. WiPo-Unterricht in Schleswig-Holstein  -  AbrissLEHRER_L

 

Tradierte Unterrichtsinhalte an allgemeinbildenden Schulen sind erfahrungsgemäß weit weniger Gegenstand pädagogischer Diskussion als Entwicklungen, die durch innovative Herausforderungen („Modernisierungsschübe“) angestoßen werden.

Die Hinführung zur Wirtschafts- und Arbeitswelt bildete in den siebziger Jahren eine derartige Thematik, um die heftig diskutiert wurde.

Dabei geht es um die Frage, inwieweit Themen wie z. B. Arbeit und Beruf, Wirtschaft,  etc. Elemente einer allgemeinen Bildung sein müssen.

Die bereits in den sechziger Jahren angestoßene Diskussion ist u. a. mit Namen wie Wolfgang Klafki, Herwig Blankertz, Wolfgang Biester, Otto Kley, Fritz Wilkening, Harald Dibbern verbunden.

Im System der DDR wurde bereits früh ein politisch motivierter Ansatz durch das Konstrukt des Polytechnischen Unterrichtes („Polytechnik”) verfolgt.

Für die Bundesrepublik gab 1964 der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen ein Konzept mit einer systematischen Begründung für das Fach Arbeitslehre heraus. Das Fach wurde meist in den 1970er-Jahren in den Fächerkanon aufgenommen, wobei es in den Bundesländern zu unterschiedlichen Konkretisierungen bzw. Benennungsvarianten kam.

Mit seinen Empfehlungen war es Ansinnen des „Deutschen Bildungsrates“ (ca. 1970), durch das neue Fach die Attraktivität der Hauptschule zu erhöhen bzw. Reformansätze vorzugeben, da sich kognitive Schulung und manuelle Tätigkeit nun ergänzen
sollten.

Schleswig-Holstein entschied sich zunächst für den Weg, einen Arbeitslehre-Anteil von ca. 25% in die bereits bestehenden
Fächer Technisches Werken, Textiles Werken und Hauswirtschaft einzubinden.

Mit Runderlass vom Juni 1972 wurde das Konzept für Schleswig-Holstein neu formuliert:

“Die Schule soll grundlegende Kenntnisse über die Wirtschafts- und Arbeitswelt vermitteln. Dieser Aufgabe dient der Berufswahlunterricht. Er ist Teil des Faches Wirtschaft/Politik an den Haupt- und Realschulen. Der Berufswahlunterricht
soll
dabei nicht über einzelne Berufe informieren, sondern die allgemeinen Probleme, Möglichkeiten und Folgen der Berufswahl aufzeigen.”

Quelle: NBl Nr. 6/1972, KM. Schl.-H., S.158

Als Konsequenz dieser Zielvorgaben wurden 1975 Schulversuche in Wilster, Ahrensbök und Neumünster in Zusammenarbeit mit dem  Arbeitsamt durchgeführt.

Parallel dazu (1975 – 1978) war Professor Harald Dibbern von der Pädagogischen Hochschule Flensburg beauftragt, ein
entsprechendes Erprobungsprojekt „Berufswahlunterricht in SH“ durchzuführen. In Zusammenarbeit mit Lehrern und ihren Klassen sowie den Berufsberatern wurden z. B. in Glücksburg konkrete Unterrichtsvorhaben und -materialien entwickelt, erprobt und später veröffentlicht.

Auch an den an den Hochschulen des Landes wurde nunmehr ein Ausbildungsangebot für HS-/RS-Lehrer im Fach WiPo
geschaffen.

Mit Runderlass des Kultusministeriums von 1978 werden dann auch Rahmenbedingungen für das Betriebspraktikum in Schleswig-Holstein vorgegeben. Unter Federführung des Landesschulamtes (Herr Delfs) wurden über die Schulämter „Kreisbeauftragte für das Betriebspraktikum“ benannt, die als Ansprechpartner für die Schulen zuständig waren (Terminierungen, Fortbildungen, Genehmigungen, Organisation etc.).

In der Stundentafel spiegelt sich der WiPo-Unterricht in den Hauptschulen mit je 2 Wochenstunden in Klassenstufe 8 und 9, in den Realschulen mit 1 Wochenstunde in der Klassenstufe 9 und 2 Wochenstunden in Klassenstufe 10. Als organisatorisch sehr hilfreich erweisen sich die Präsenzzeiten der Berufsberater in den Schulen.

Die Gymnasien distanzierten sich i. d. R. von dieser Entwicklung. Die persönliche Erfahrung wurde seinerzeit gestützt durch die Anmerkung eines Studiendirektors, dass die Hinführung zur Arbeits- und Wirtschaftswelt nichts mit dem Gymnasium zu tun  hätte. Ziel des Gymnasiums sei ausschließlich die Reifeprüfung. 
 

Seit Mitte der achtziger Jahre hat aber ein Umdenken von der am Neuhumanismus orientierenden Gymnasialtradition eingesetzt.
Mittlerweile bieten fast alle Schulen Praktika an. Die Hauptschulen favorisieren ein 2 x 2-wöchiges in der 8. und 9. Jahrgangs-
stufe. Realschulen hingegen ein 2-wöchiges Praktikum in der 9. Jahrgangsstufe und die Gymnasien ein 1-wöchiges „Wirtschfts-
praktikum“.

Für die Schulpraxis scheint sich das grundlegende Problem zu ergeben, eine ”flächendeckende” Besetzung mit ausgebildeten
WiPo-Lehrern zu realisieren, so dass vielerorts die mit einem fachfremden Unterrichtseinsatz verbundenen Nachteile toleriert
werden  bzw. Elemente der Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft oder Politik gänzlich in den Hintergrund treten müssen. In diesen Fällen werden letztlich Chancen vergeben, bei den Jugendlichen ein Verständnis über die Funktions- bzw. Arbeitsweisen unseres Gemeinwesens zu entwickeln.

Im Zuge der Umgestaltung der Hauptschule und Realschule zur Gemeinschaftsschule wird die Hinführung zur Arbeits- und
Wirtschaftswelt letztlich zum zentralen Unterrichtsprinzip erklärt.

Im Mai 2013 gibt das Ministerium für Bildung und Wissenschaft des Landes Schleswig-Holstein ein „Landeskonzept Berufs-
orientierung der Regional- und Gemeinschaftsschulen“ heraus.

Zu vermissen bleibt m. E. ein ganzheitliches Konzept, da der Berufswahlunterricht nur einen Teil des WiPo-Unterrichts darstellt, und die Existenz der z. T. korrespondierenden Lehrpläne für die Fächer Wirtschaft/Politik, Wirtschaftslehre, Verbraucherbildung und Weltkunde schwerlich eine betreffende Strukturierung erkennen lassen.

 

WIPO-History